Wer hätte gedacht, dass mir ausgerechnet die Coronakrise zum wirklichen Schreibstart dieses Blogs verhilft? Die Lockdowns zeigten uns sehr deutlich auf, welche Rolle die Schule in der Gesellschaft spielt und was fehlt, wenn Bildung/Wissenserwerb nur über den Bildschirm stattfindet. Genau diese Fragestellung, was Bildung alles umfasst, motivierte mich vor ein paar Jahren, einen Blog zu starten und Einsicht in die Gedanken einer Lehrperson zu geben. Damals sorgte eine eigentlich simple Frage für viel Gesprächsstoff: „Ist der Lehrerberuf ein Sozialberuf?“

Aber von Anfang an: Es war ein gemütlicher Abend in einer Alpenvereinshütte an einem wunderschönen Herbstwochenende. Ich war mit einer Freundin in den Bergen unterwegs, zum Abendessen wurden wir aber mit zwei Herren mittleren Alters an einem Tisch platziert. Wir kamen ins Plaudern und sprachen unter anderem über unsere Berufe. Um das Ganze etwas spannender zu machen, ließen wir die beiden Herren meinen Beruf erraten. Dieses Beruferaten bei fremden Menschen amüsiert mich selbst sehr und daher übe ich mich ab und zu im Einschätzen von anderen Menschen. Möchte dann im Gegenzug jemand meine Tätigkeit erraten, geht das meistens recht schnell: Anscheinend bin ich gut durchschaubar und werde jeweils schnell als Lehrperson entlarvt. Dieses Mal war es anders – somit nahm das fröhliche Raten seinen Lauf. Es kamen Vorschläge von Architektur, über Bauingenieurswesen bis hin zu Wirtschaftsinformatik. Wie wir wissen, ist das alles weit entfernt von meinem tatsächlichen Beruf und die Herren waren schon leicht frustriert. Als irgendwann die Frage kam, ob ich in einem Sozialberuf tätig bin, freute ich mich, dass sie die richtige Richtung einschlugen und bejahte natürlich.

Leider konnten es die Ratenden nicht glauben, dass ich bei ihren nachfolgenden Versuchen, nämlich Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Therapie, etc. verneinte. Sie brauchten noch eine Weile, bis sie auf den Lehrerberuf kamen.

Im Nachhinein waren sie sehr empört darüber, dass ich meine Arbeit als Sozialberuf deklarierte. Mein Beruf sei ja die Wissensvermittlung und ich hätte sie auf eine total falsche Fährte gelockt.

Aha..?

Auch heute – nach langem Nachdenken – ist es mir unverständlich, warum der Lehrerberuf nicht zum Sozialbereich gehören soll. War nicht bekannt, was wir Lehrpersonen neben der klassischen Wissensvermittlung alles leisten?

Neben dem klassischen Wissenserwerb ist die Schule ein Ort der Begegnung – in allen möglichen Facetten:

– Sie ermöglicht den Austausch mit Gleichaltrigen. Eine Klasse ist nämlich mehr als eine Ansammlung von einzelnen Individuen. Die Kinder begegnen einander und lernen andere Lebensrealitäten kennen. Durch Kennenlernaktivitäten knüpfen sie Kontakte und mit der Zeit entwickelt sich eine Gemeinschaft. Sie nehmen gemeinsam Dinge in Angriff und bewältigen Herausforderungen. Die Klasse erarbeitet sich Regeln, die dafür sorgen, dass sich alle wohlfühlen können.

– Sie ist aber auch ein Ort der Auseinandersetzung. Bei Konflikten müssen Lösungen gesucht werden. Es müssen für alle gültige Vereinbarungen getroffen werden, denn Kinder verbringen einen wesentlichen Teil des Tages in ihrer Klasse.

– Die Schule bietet eine Tagesstruktur. „Siiiie, die Onlinestunde war der Grund, dass ich heute überhaupt aufgestanden bin und mich angezogen habe“ (um einige SchülerInnen während des Lockdowns zu zitieren). Und auch im normalen Schulalltag ist die Schule ein Ort der Tagesstruktur: Einige essen hier und verbringen zudem einen Teil ihrer Freizeit in unserer Institution.

Alle diese Punkte begleite ich als Lehrerin. Ich stelle für die Kids eine Bezugsperson dar und muss mir bewusst sein, dass ich in meinem Tun ein Vorbild bin. Ich bin dabei in der Gewaltprävention tätig und arbeite zwischendurch als Streitschlichterin bzw. Mediatorin. Ich beuge durch diverse Aktivitäten Mobbing vor und leiste einen wesentlichen Anteil an der Integration von jungen Menschen mit diversen Hintergründen. Zudem biete ich ein offenes Ohr bei Problemen aller Art (und ja, auch bei familiären Themen). Dabei kann ich zum Glück auf ein gutes Netz an Unterstützungspersonen an der Schule zurückgreifen. Um diese zu aktivieren, muss ich aber als Lehrperson genau hinsehen und hinhören.

Ich bleibe also dabei: Der Lehrerberuf IST ein Sozialberuf. Nur wer diesen Beruf aus Interesse am ganzen Drumherum (neben der Wissensvermittlung) ergreift, findet meiner Meinung nach Freude und Erfüllung in dieser vielschichtigen Tätigkeit. Egal, ob man als Klassenvorstand tätig ist oder „nur“ als Fachlehrperson: In der Schule „menschelt“ es – mit allen positiven und negativen Auswirkungen. Es lohnt sich definitiv, sich täglich dafür einzusetzen, damit die Schule ein lebenswerter Ort für alle ist. Das heißt für mich, dass Schule auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zugeschnitten ist, damit sie sich bestmöglich entfalten können. Und natürlich sollen für uns Lehrpersonen Bedingungen vorherrschen, unter denen wir motiviert arbeiten, uns weiterentwickeln und die uns anvertrauten jungen Personen gerne begleiten.

In diesem Blog werde ich einen Einblick in meine Gedanken über Schule geben. Und da mir das Fach Mathematik besonders am Herzen liegt, werden einige Artikel diesem faszinierenden Themengebiet gewidmet sein. Des weiteren thematisiere ich Aspekte, die mir in meinem Berufsalltag auffallen, da ich mehrere Schulsysteme gut kenne. Diese vielen Blickwinkel ermöglichen es mir, genau hinzuschauen. Da ich eine Vergleichsmöglichkeit zwischen mehreren Systemen habe, stelle ich mir Fragen, die sonst möglicherweise gar nicht aufkommen. Gegebenheiten, die scheinbar fix sind, sind an den diversen Orten ganz unterschiedlich und somit lohnt sich eine Auseinandersetzung damit.

Ich hoffe, dass dieser Blog für viele meiner WegbegleiterInnen aus den verschiedenen Schulsystemen interessant ist: Ich stelle coole Eigenheiten aus Österreich vor und manchmal werde ich mich an interessante Aspekte des schweizerischen Systems erinnern. Vielleicht wird auch der eine oder andere Gastbeitrag hier zu lesen sein. Über Anregungen und Kommentare bin ich daher sehr dankbar.

Viel Freude damit und danke fürs Vorbeischauen auf dieser Seite.